„Wir brauchen Führung von oben“ – Julian Real über Verbandsstrukturen & die Zukunft des Wasserballs

In dieser Episode des Waterpolo Expert Talk spricht Julian Real sehr offen über seine neue Rolle abseits des aktiven Leistungssports und über die strukturellen Herausforderungen, mit denen der deutsche Wasserball aktuell konfrontiert ist. Im Zentrum des Gesprächs steht eine klare Forderung: Der DSV muss deutlich stärker von oben steuern und verbindliche Vorgaben machen, um Leistungssport langfristig zu sichern.

Julian beschreibt den Perspektivwechsel vom aktiven Spieler hin zur operativ-gestaltenden Rolle beim ASC Duisburg. Nach dem olympischen Qualifikationsturnier entschied er sich bewusst, ein weiteres Jahr aktiv zu spielen und parallel Verantwortung im Verein zu übernehmen. Der Auslöser war ein Gespräch mit dem Vereinsvorsitzenden, der angesichts vieler junger Spieler und fehlender klarer Strukturen Unterstützung benötigte. Für Julian war schnell klar: Duisburg steht an einem Wendepunkt – und dieser verlangt aktives Gestalten statt Abwarten.

Ein zentrales Thema ist die Motivation junger Spieler. Julian schildert sehr realistisch, wie schwierig es geworden ist, Jugendliche langfristig für den hohen zeitlichen Aufwand des Wasserballs zu begeistern. Vier Trainingseinheiten am Morgen, zusätzliche Einheiten am Abend – all das erfordert klare Ziele. Doch genau diese Ziele seien für viele junge Spieler nicht mehr greifbar. Nationale Titel, Nationalmannschaft, internationale Turniere: Was früher realistische Perspektiven waren, erscheint heute oft weit entfernt.

Besonders deutlich wird Julian bei der fehlenden Zieldefinition durch den Verband. Er greift Aussagen des ehemaligen Bundestrainers Petar Porobić auf, der bereits betonte, dass klare Zielvorgaben „von oben“ notwendig sind. Ohne diese Orientierung fehle es an Energie, Richtung und Durchsetzungsfähigkeit. Strukturen würden zwar diskutiert, aber nicht konsequent umgesetzt. Entscheidungen würden verwässert, um möglichst niemanden zu verärgern – was letztlich Stillstand bedeute.

Auch die Förderstrukturen stehen im Fokus. Julian spricht über ungenutzte Potenziale bei Bundeswehr, Studium und dualen Modellen. Diese Instrumente existieren zwar, werden aber kaum strategisch eingesetzt oder miteinander verknüpft. Gerade für Vereine wie Duisburg, Hannover oder Berlin als Bundesstützpunkte müsse klar definiert sein, welchen Auftrag sie erfüllen: Förderung deutscher Spieler – nicht nur kurzfristiger sportlicher Erfolg.

Kritisch analysiert Julian zudem die Bundesliga-Strukturen, insbesondere Themen wie Zweitspielrechte, A- und B-Gruppen sowie die zunehmende Komplexität des Systems. Was intern vielleicht erklärbar sei, werde von außen kaum noch verstanden – weder von Eltern noch von potenziellen Neueinsteigern. Diese fehlende Transparenz schade dem Sport erheblich.

Ein wiederkehrendes Motiv ist die Konzentration auf wenige sogenannte „usual suspects“. Nationalmannschaften rekrutierten sich zunehmend aus einem sehr kleinen Kreis an Vereinen, während andere Clubs trotz guter Jugendarbeit kaum Durchlässigkeit hätten. Ohne gezielte Steuerung verstärke sich dieser Effekt – mit negativen Folgen für Breite und Basis.

Julian denkt auch alternative Modelle an, etwa eine stärkere Trennung zwischen Leistungs- und Hobbybereich oder Ansätze nach niederländischem Vorbild. Gleichzeitig macht er klar, dass es keine perfekte Lösung gebe. Entscheidend sei nicht das Modell, sondern der Mut zur Entscheidung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Trotz aller Kritik endet das Gespräch mit einer klaren Liebeserklärung an den Sport. Wasserball sei zeitintensiv, fordernd und wenig lukrativ – aber für Julian nach wie vor der beste Sport der Welt. Genau deshalb lohne es sich, für bessere Strukturen zu kämpfen.

Diese Episode ist ein analytischer, ehrlicher und sehr klarer Appell an Verband, Vereine und Entscheidungsträger, den Leistungssport im Wasserball aktiv zu gestalten – statt ihn dem Zufall zu überlassen.